(DE) Wieso eigentlich keine Kernenergie?
This article about why nuclear energy is questionable in this day and age is written in German, as the topic of leaving nuclear energy is actively discussed in these days in Germany.
In diesen Tagen der Klimakrise – Wälder im Mittelmeer verbrennen, deutsche Städte werden hinweggeschwemmt, der neue IPCC-Report warnt vor Erreichen des 1.5-Grad-Ziels bis 2030 – hört man immer wieder von Kernenergie. Glücklicherweise nicht an prominentester Stelle, doch hin und wieder von Kolumnisten und Kommentatoren in der einen oder anderen Publikation.
Und jedes mal wird klar, dass der oder die AutorIn nur wenig tiefergehendes Wissen über die Kernenergie haben kann. Ich möchte hier die gesamten Argumente – die auch weit über wir haben kein Endlager oder Tschernobyl! hinausgehen – sammeln. Dabei greife ich nicht nur auf politische oder allgemein bekannte Quellen zurück, sondern kann auch das Wissen, das ich in den letzten Monaten in der Forschungsgruppe von Prof. Göttsche (Nuclear Verification and Disarmament) gewonnen habe, hoffentlich zielbringend anwenden.
Im Folgenden möchte ich meine Argumente nicht mit Originalquellen unterstützen: Wikipedia alleine hat bereits sehr gute Zusammenfassungen der Primärliteratur, und eignet sich gut zum Erhalten weiterer Informationen. Das Ziel soll schließlich sein, zu zeigen, wieso wir in Deutschland der Kernenergie keine Träne hinterherweinen müssen.
Ausgangspunkt
Die Bundesregierung hat 2011 beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen. Dies fand zeitgleich mit der Nuklearkatastrophe in Fukushima statt. Teile der Politik haben diese Entscheidung seither als zu eilfertig kritisiert: ohne Kernenergie stehe Deutschland ohne genügende und ausreichend stabile Energieversorgung da. [Atomausstieg]
Der Ausgangspunkt des Streits Kernenergie gegen Klimawandel ist nicht besonders kompliziert zu verstehen. Die Denkweise ist: “Kohlekraftwerke haben Schornsteine. Aus denen kommt CO2. Kernkraftwerke haben keine Schornsteine, und sind deshalb umweltfreundlich.” Es gibt auch noch weitere Variationen: zum Beispiel ist es wahr, dass Kohlekraftwerke mehr Strahlung emittieren als Kernkraftwerke, da die Kohle nicht aus purem Kohlenstoff besteht, sondern teilweise ungesunde und sogar radioaktive Beimischungen hat; unter anderem auch Uran und andere Schwermetalle. [Kohlekraftwerk#Luftschadstoffe] Und natürlich ist es wahr, dass Kohlekraftwerke, selbst mit Filter, große “Drecksschleudern” darstellen. Kurz: Kohlekraftwerke sind einfach nicht mehr populär; und gleichzeitig ist nicht schwer zu verstehen, dass bisher nur große thermische Kraftwerke die Grundlast bereitstellen können.
Andere Energiequellen wie Windkraft oder Photovoltaik können auch abgelehnt werden, Stichwort “Dunkelflaute”. Insbesondere haben viele Menschen offenbar Probleme mit der “Verspargelung” der Landschaft, und entdecken den inneren Vogelfreund, sobald eine neue Windturbine errichtet werden soll. Diese Argumente will ich gar nicht entkräften: natürlich hat jede Form der Energieerzeugung Einfluss auf die Umwelt! Und so haben Anwohner eines Kernkraftwerks sicherlich auch größere Sorgen als eine “Verspargelung” ihrer Landschaft. Im schlimmsten Fall – der Kohlekraft – gibt es auch gar keine Landschaft mehr, nachdem RWE oder LEAG diese weggebaggert haben.
Als Alternative kommt man dann schnell auf die Kernenergie: Hier entstehen keine (sichtbaren) Emissionen bis auf Wasserdampf, die Energiequelle ist grundlastfähig und stabil, und natürlich konkurrenzlos günstig und auch sicher. Doch hier sehen wir schon: nicht alles davon kann stimmen, denn Deutschland wäre nicht aus einer sauberen günstigen stabilen Energieversorgung ausgestiegen, wenn diese Eigenschaften tatsächlich gegeben wären.
Somit müssen wir uns zwangsweise mit den einzelnen Details der Energieerzeugung aus Kernenergie auseinandersetzen. Denn so wie Verfechtern der erneuerbaren Energien oft vorgeworfen wird, bei ihnen käme der Strom aus der Steckdose – so findet doch die Argumentation pro Kernenergie leider oft auf dem selben Komplexitätsniveau statt. Und hier ist auch der logische Beginn unserer Reise durch die Kernenergie: denn auch das Uran, das in Kernreaktoren “verbrannt” (eigentlich: umgewandelt) wird, kommt nicht aus der dünnen Luft.
Wie funktioniert ein Kernkraftwerk?
Hier soll es nicht um Details gehen; es gibt viele unterschiedliche Arten, ein Kernkraftwerk zu bauen – jede mit ihren Vor- und Nachteilen. Doch im Prinzip funktionieren die meisten Kernkraftwerke sehr ähnlich: Das Herzstück ist ein Kernreaktor. Dieser enthält Brennstoff; der Brennstoff enthält meistens hauptsächlich angereichertes Uran, was bedeutet: eine Mischung aus bis zu 4% Uran-235, und der Rest Uran-238 (kurz: U-238). Es gibt eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, u.a. auch Mischoxid-Brennstoff (MOX); an der Funktionsweise ändert das nichts. Die Begriffe werden gleich im Detail erklärt: keine Sorge!
U-235 kann durch Neutronen, das sind Kernbausteine, gespalten werden. Dabei werden weitere Neutronen frei, die wiederum U-235-Kerne spalten können. U-238 lässt sich nicht so einfach spalten; deshalb ist der Anteil von U-235 essentiell. Die Neutronen werden in einem Moderator, in Deutschland ist das oft einfaches Wasser, abgebremst (moderiert), bevor sie wieder weiteres U-235 spalten können. Diesen Mechanismus nennt man Kettenreaktion. Die Wärme wird dadurch erzeugt, dass die ursprünglich schnellen Neutronen im Moderator abgebremst werden, und dadurch Energie verlieren; die Wärme wird zur Dampferzeugung benutzt, und der Dampf treibt herkömmliche Dampfturbinen an, wie sie auch in jedem Gas- oder Kohlekraftwerk stehen.
Mit der Zeit wird die U-235-Konzentration kleiner, und Spaltprodukte reichern sich im Brennstoff an. Somit wird meist nach wenigen Jahren ein Teil des Brennstoffs ausgewechselt und mit frischem Brennstoff ersetzt. 1 Gramm U-235 (entspricht ungefähr 25-30 Gramm Brennstoff) kann dabei so viel Energie freisetzen wie fast 10 Tonnen Braunkohle. Nicht schlecht!
Interessanterweise ist diese Kettenreaktion der gleiche Mechanismus, der eine Kernwaffe zur Explosion bringt. Der Unterschied ist, dass die Kettenreaktion im Kernkraftwerk äußerst langsam und kontrolliert abläuft; in einer Kernwaffe steigt die Leistung exponentiell an, da jede Kernspaltung genug Neutronen erzeugt, um mehr als einen weiteren Kern zu spalten. Zum Beispiel: Eine Kernspaltung erzeugt vier Neutronen, die wiederum 2 Kerne spalten können. Diese erzeugen wieder genug Neutronen um jeweils zwei Kerne zu spalten: nun können 4 Kerne gespalten werden. Und so läuft die Reaktion weiter, bis Neutronen keine Kerne mehr erreichen können. [Kernreaktor]
Die Physik dahinter
Diesen Abschnitt kann man überspringen, wenn die abstrakte Erklärung gereicht hat!
Wichtig zu verstehen, auch für die folgenden Abschnitte, ist der Aufbau von Atomen, und speziell der Atomkerne. Ein Atom – das kennt man aus der Schule – hat einen Kern und eine Hülle. Die Hülle besteht aus Elektronen – und interessiert uns tatsächlich kaum. Sie ist für die chemischen Eigenschaften essentiell, aber nicht für die Kernspaltung.
Der Kern des Atoms besteht aus Protonen und Neutronen. Diese sind jeweils etwa 2000-mal schwerer als die sehr leichten Elektronen, und “kleben” zusammen. Protonen tragen, wie Elektronen in der Hülle, eine Ladung, und zwar eine positive Elementarladung (Ladung ist, was man beim Türklinke-berühren-und-Schlag-bekommen fühlt, sehr grob gesagt). Das Atom ist an sich neutral, und hat normalerweise so viele Elektronen wie Protonen. Die Protonenzahl legt auch fest, welches Element vorliegt: Alle Atome des gleichen Elements haben i.A. die identischen chemischen Eigenschaften. Elemente sind zum Beispiel Wasserstoff (H), mit exakt einem Proton und einem Elektron; oder Kohlenstoff mit 6 Protonen und 6 Elektronen.
Neutronen sind, wie der Name andeutet, neutral und tragen keine Ladung; sie steuern nur ihre Masse bei (die fast gleich der Protonenmasse ist). Der Kern ist also eine Art Tropfen äußerst konzentrierter Materie aus Protonen und Neutronen. Er ist außerdem extrem klein (ohne genaue Maße nennen zu wollen: aber bis zu 10'000 mal kleiner als das gesamte Atom mit Hülle).
Elemente bestehen aus Atomen mit der gleichen Protonenzahl; aber die Kerne von Atomen eines Elements können immer noch unterschiedlich viele Neutronen enthalten. Atome des gleichen Elements mit unterschiedlicher Neutronenzahl (also Masse), nennt man Isotope. Zum Beispiel liegt Wasserstoff in der “ganz normalen” Form (wie im Leitungswasser H2O) mit einem Proton vor: Das nennt man H-1, da der Kern einen Baustein hat. Es gibt aber auch ein Isotop H-2, das neben dem Proton auch ein Neutron enthält. Dieses Isotop hat sogar einen eigenen Namen, Deuterium. Und darüber liegt schließlich Tritium H-3, mit einem Proton und zwei Neutronen. Chemisch verhalten sich die Isotope sehr ähnlich: Man kann zum Beispiel Wasser trinken, das Deuterium statt Wasserstoff enthält, und dieses schwere Wasser wird sich im Körper in guter Näherung wie normales (leichtes) Wasser verhalten.
Wichtig ist dann noch zu wissen, dass sich verschiedene Isotopen physikalisch unterschiedlich verhalten. Zum Beispiel sind die Kerne dann nicht mehr unbedingt stabil; so wird ein Wasserstoffkern nicht zerfallen (also zerbrechen, sozusagen). Zum Beispiel ist Tritium radioaktiv: Nach 12,3 Jahren wird die Hälfte der Tritiumatome eines Vorrats zu Helium-3 zerfallen sein. Diese Zeit nennt man auch Halbwertszeit, und spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Radioaktivität von Isotopen. Je kürzer sie ist, desto stärker strahlt ein Stoff, da umso mehr Kerne pro Zeit zerfallen. [Isotop]
Das ist auch der Grund wieso U-235 im Kernreaktor benötigt wird: im Gegensatz zu U-238 lässt es sich durch moderierte Neutronen gut spalten, und setzt dabei weitere Neutronen frei. Chemisch – und das ist fundamental für die Atomkraftindustrie – lässt es sich aber nicht von seinem Bruder U-238 trennen: die beiden Isotope verhalten sich im Reagenzglas absolut identisch.
Uran: nicht aus dünner Luft
Während die deutschen Kernkraftwerke von außen ruhig und sauber sind, müssen sie wohl oder übel Uran verbrauchen. Doch woher kommt das? Zu einem Großteil aus Kanada, Australien, aber auch anderen Ländern z.B. in Afrika. Allgemein ist Uran kein seltenes Element. Es kommt praktisch überall vor, allerdings meist in sehr niedriger Konzentration. Uran selbst ist nur schwach radioaktiv, und vor allem dadurch gefährlich für den Menschen, dass es als Schwermetall im Körper wie auch Quecksilber oder Cadmium Schaden anrichtet. Die schwache Radioaktivität ist allerdings auch nicht zu vernachlässigen, insbesondere bei großen Mengen Uran wie bei der industriellen Verarbeitung!
Die Ranger-3-Mine im Northern Territory (Australien). Quelle: [Uranabbau in Australien; Bild von
Geomartin]
Das Uran liegt als Erz vor, das in großem Stil abgebaut werden muss – denn das Erz ist nicht besonders hoch konzentriert. Je nach Lagerstätte sind 1% Urankonzentration bereits ein Glückstreffer. Das heißt: unglaubliche Mengen Gestein müssen abgebaut und verarbeitet werden. Und hierbei reden wir nicht von Tagebauen wie sie in Deutschland zum Kohleabbau betrieben werden; hier geht es nicht um Kohle, sondern mehrere gleichzeitig vorkommende Schwermetallvorkommen, von denen viele für Menschen deutlich giftiger sind als die geringen Konzentrationen von Schadstoffen in Kohle. Natürlich ist Australien in großen Teilen menschenleer – das ändert aber nichts an der gigantischen Umweltverschmutzung. 1979 brach ein Damm, der Abfall aus dem Uranabbau zurückhalten sollte, und vergiftete einen Fluss, der von amerikanischen Ureinwohnern zur Wasserversorgung benutzt wurde. Mangels Englischkenntnissen und elektronischer Kommunikation erfuhren viele der Anwohner nichts davon, und tranken stark kontaminiertes Wasser. Außerdem wurde mehr Radioaktivität freigesetzt als beim nur vier Monate später verunglückten Kernkraftwerk Three Mile Island. Uran ist nicht ohne katastrophale Umweltzerstörung zu bekommen. [Navajo und Uran]
Wenn nicht aus Tagebauen, kann Uran auch im Tiefbergbau (Stollen) oder durch Leaching gewonnen werden – analog zum Lösen von Steinsalz durch Soleeinleitung, allerdings mit deutlich aggressiveren Chemikalien – oder aus der Asche von Kohlekraftwerken, die Uran enthält (Fakt am Rande): die Asche einiger Kohlekraftwerke enthält mehr Uran als Uranerz; ein Kilogramm Asche könnte je nach Urananteil und Reaktorverweildauer bis zu 160 kWh Kernenergie erzeugen!). . Nach der Extraktion durch Schwefelsäure aus Erz wird das Uran aufkonzentriert, was im Milling passiert. Dabei wird Erz zermahlen und nach Versetzung mit Säuren oder Laugen das Uran herausgelöst. Der Großteil des Urans kann hiermit ausgelöst werden, allerdings bleiben große Mengen tailings über, die nur schwer entsorgt werden können. Stattdessen verbleiben diese oft in großen Teichen (wie dem erwähnten See oben, der Navajo-Ureinwohner vergiftete). Da Uran meist nicht alleine auftritt, besteht der Inhalt aus einer ungesunden Mischung von Säure/Lauge, nicht extrahiertem Uran, und einer Mischung von Schwermetallen wie Eisen, Arsen, Mangan sowie entstehenden Zerfallsprodukten wie das lungenkrebserregende radioaktive Gas Radon. [Uranbergbau]
Wer nun denkt: “nicht hier, nicht wir, was in Australien in der Wüste passiert ist mir doch egal” – die SDAG Wismut betrieb bis 1990 Uranbergbau in Thüringen und Sachsen, und hinterließ dabei signifikante Umweltbeeinträchtigungen, die bis heute nicht sinnvoll saniert werden konnten. Abfallprodukte konnten unaufbereitet versickern. Bis 2045 werden die Umweltfolgen voraussichtlich mehr als acht Milliarden Euro gekostet haben. Der Unterschied zu Kohlebergbau ist dabei die deutlich größere Giftigkeit der vorliegenden Stoffe! [Wismut#Umweltschäden]
Uran: das läuft noch nicht
Natururan selbst kann nicht im Reaktor eingesetzt werden – zumindest nicht denen, die in Europa betrieben werden. Dafür muss Uran angereichert werden. Natururan enthält etwa 0.77% U-235 und besteht sonst aus U-238 (und Spuren von U-234). Der Anteil von U-235 muss verdoppelt bis verdreifacht werden; das jedoch gestaltet sich schwierig. Denn wie oben erwähnt verhalten die Isotope sich chemisch exakt gleich, herkömmliche Extraktionsprozesse können also keine Anwendung finden.
Stattdessen muss die Trennung physikalisch stattfinden. Das geschieht heute in speziellen Ultrazentrifugen, die die beiden Isotope anhand ihres Massenunterschieds bei extrem hohen Drehzahlen (bis 100'000 pro Minute) trennen. Wie auf dem Karussell gilt hier: je größer die Masse, desto stärker werden die Teilchen nach außen “gezogen”. Innen kann also die leichtere Fraktion – das U-235 – entnommen werden.
Das klingt zunächst einfach; die Industrie hat schon komplexere Probleme gelöst. Allerdings reicht eine Zentrifuge nicht aus; um das Uran nämlich anzureichern, muss es in den Zentrifugen als Gas vorliegen. Uran selbst kann bei vernünftigen Temperaturen nicht gasförmig werden, also wird jedes Uranatom mit sechs Fluoratomen zu Uranhexafluorid UF6 konvertiert. Das verdampft bereits bei unter 60 Grad Celsius. Der Massenunterschied eines Moleküls mit U-235 und U-238 beträgt allerdings weniger als 1%. Das bedeutet: im inneren Teil der Gaszentrifuge ist U-235 nur ganz leicht höher konzentriert als außen. Zum Beispiel werden von 100 zugeführten U-235 UF6-Molekülen 51 abgetrennt, und 49 verbleiben in der Zentrifuge und werden als vorläufiger Abfall abgeführt. Der Konzentrationsunterschied von U-235 vor und hinter der Zentrifuge ist also minimal. Daher werden viele Zentrifugen (einige tausend) in Kaskaden angeordnet, das heißt parallel sowie seriell verschaltet, um das UF6-Gas schrittweise anzureichern. Dabei werden tausende Tonnen von UF6 umgewälzt um nur wenige Kilogramm oder Tonnen angereichertes UF6 zu gewinnen; dementsprechend hoch ist der Energieverbrauch.
Abgesehen davon ist UF6 sehr brisant in Kombination mit Wasser, wobei es Flusssäure bildet. Flusssäure kann man dabei getrost als womöglich die grauenhafteste Chemikalie im normalen Gebrauch bezeichnen. Auf unterschiedliche Arten giftig, ist sie eine ernsthafte Gefahr bei fast jeder Exposition. Kleiner Fakt am Rande: Teflon wurde erstmals im Manhattan-Projekt beim Bau der ersten Atombombe zur Anreicherung von Uranhexafluorid eingesetzt; nur Teflon war damals in der Lage, dem extrem korrosiven Gas in Rohren und Schläuchen zu widerstehen.
Die Anreicherung findet in Deutschland zum Beispiel in Gronau (NRW) beim britisch-niederländisch-deutschen Joint Venture Urenco statt. Urenco baut auch die verwendeten Gaszentrifugen, die ein ernsthaftes Risiko für die friedliche Nutzung der Kernenergie darstellen – und somit geheimgehalten werden.
Wieso das? Aus dem einfachen Grund, dass Urananreicherung nicht nur für die Nutzung des Urans in der Kernenergie hilfreich ist. Die exakt gleiche Technik, wenn auch anders angeordnet, wird benötigt zum Bau einer Kernwaffe auf Spaltungsbasis (d.h., eine Uran-235-Bombe; für eine Wasserstoffbombe (thermonukleare Kernwaffe) benötigt man ebenfalls eine Spaltungswaffe, allerdings noch weitere diffizile Komponenten). Fiele die Technik für Zentrifugen einem Land in die Hände, das Kernwaffen bauen wollte, so stellte das einen großen Schritt hin zur Erlangung einer solchen dar. Zum Beispiel brachte Abdul K. Khan Entwürfe zu modernen Zentrifugen von Urenco aus den Niederlanden nach Pakistan, wo dieses Wissen zum Aufbau des – nicht friedlichen – pakistanischen Atomprogramms genutzt wurde. Nicht nur das – in späteren Jahren gab es Hinweise, dass Zentrifugendesigns aus Pakistan in Richtung Nordkorea (gegen Raketenmotoren), Libyen, und Iran. Letzterer nutzt in seiner Anlage in Natanz seither Zentrifugen, die dem Urenco-Design ähneln. Wissen über Anreicherung kann also nicht rein friedlich existieren, seine Veröffentlichung stellt eine permanente Gefahr dar. [Anreicherung von Uran]
Uran: vom Gas zum Brennstoff
Nachdem das Uran ausreichend angereichert wurde, und das Uranhexafluorid in eine feste Form (meistens Urandioxid, UO2) umgewandelt wurde, werden aus dem Material nun Brennstoffpellets hergestellt. Neben ausreichend Uran sind manchmal noch Hilfs- oder Abfallstoffe enthalten: Zum Beispiel Plutonium-239, das in vorherigen Reaktordurchläufen aus U-238 entstanden ist, und ähnlich wie U-235 zur Kernspaltung genutzt werden kann (diesen Brennstoff nennt man dann MOX oder Mischoxid-Brennstoff, da er eine Mischung der Oxide von Uran und Plutonium darstellt). Die Ausgangsstoffe werden bei hohen Temperaturen zu Pellets gebacken, die dann in Brennstäbe gefüllt werden. Neben den Oxidbrennstoffen gibt es andere Sorten, zum Beispiel aus metallischem Uran oder anderen Metallen: solche Brennstoffe spielen für die zivile Energieerzeugung in Europa aber keine Rolle.
Diese langen Metallröhren enthalten den Brennstoff und sorgen im Reaktor für eine sinnvolle räumliche Anordnung, sodass z.B. das Kühlwasser richtig zirkulieren kann, und die Kettenreaktion aufrecht erhalten wird. Hierbei ist zum Beispiel zu beachten dass das Hüllenmaterial die Neutronen nicht daran hindert, sich fast frei durch den Reaktor zu bewegen; gleichzeitig müssen die äußerst radioaktiven Spaltprodukte eingeschlossen werden, da diese selbst im Wasser des abgeschlossenenen Primärkreislaufs nicht erwünscht sind und Schaden an Mensch und Maschne anrichten könnten. Ganz allgemein gilt, selbst im Kernkraftwerk: Strahlendes Material darf nur so weit wie notwendig verwendet werden, und wo irgend möglich muss der Ausbreitungsradius eingeschränkt werden. Im Normalfall werden die radioaktiven Spaltprodukte also frühestens bei der Wiederaufbereitung (siehe dort) freigesetzt, wo mit ihnen kontrolliert umgegangen werden kann.
Der Brennstoff verbleibt für längere Zeit (wenige Jahre) im Kernreaktor, bevor er “abgebrannt” ist, und die verringerte Konzentration von U-235 sowie die erhöhte Konzentration von Spaltprodukten keine Kettenreaktion mehr aufrecht erhalten können. Neben dem fehlenden U-235 können nämlich Spaltprodukte wie Cadmium-113 als “Neutronengift” wirken, und die Kettenreaktion durch starke Absorption von Neutronen behindern. [Kernbrennstoff]
Uran: Alles wie am Schnürchen
Diese Phase ist die goldene Zeit im Brennstoffkreislauf: Energie wird aus dem Uran frei, und nicht viel weiter geschieht! Der Reaktor ist abgeschlossen, und wenn er fachgerecht betrieben wird, ist er auch relativ sicher gegen Unfälle. Doch irgendwann ist das spaltbare U-235 verbraucht, und der Brennstoff muss dem Reaktor entnommen werden.
Aufbereitung
Zu diesem Zeitpunkt haben die Spaltreaktionen größere Mengen an verschiedensten Elementen erzeugt, die zu einem großen Teil immer noch stark strahlen; darum müssen die Brennstäbe zunächst unter Wasser gelagert werden, bis die kurzlebigen Elemente weiter zerfallen sind und die Strahlung etwas abnimmt. Dann können die Brennstäbe entnommen und in eine Wiederaufbereitungsanlage transportiert werden.
Die Brennstoff-Pellets bestehen nun aus drei Hauptbestandteilen:
- Uran (“abgebrannt”, d.h. ein kleinerer Teil U-235 als bei frischem Brennstoff, sowie U-238 und geringe Konzentrationen von Isotopen wie U-233, U-234, und U-236, die durch Zerfall oder Bestrahlung entstehen)
- Plutonium Pu-239, Pu-240, und höhere Isotope, die hauptsächlich durch Neutroneneinfang von U-238 entstehen. Plutonium ist kritisch, da es neben U-235 einer der Hauptrohstoffe für den Bau von Nuklearwaffen ist. Plutonium kann außerdem als Mischoxid-Brennstoff (“MOX”) wieder in Brennstoff für Reaktoren verwendet werden, da auch Pu-239 spaltbar ist, und Pu-240 Zerfallswärme erzeugt.
- Aufbereitungsabfall, hauptsächlich Uran und weitere Zerfallsprodukte. Dieser wird normalerweise nicht weiterverwendet.
Die Aufbereitung findet in Fabriken wie in Sellafield (UK), La Hague (F), Majak (RUS) statt. Im PUREX-Prozess werden dabei Plutonium und Uran chemisch voneinander getrennt (vgl. mit Anreicherung: dort müssen physikalische Methoden benutzt werden!). Dort werden die Brennstäbe mit ihren Pellets in Säure aufgelöst, bevor Uran- und Plutoniumsalze aus dem Brennstoff gelöst werden. Das Uran kann prinzipiell wiederangereichert werden, um den verbleibenden Rest U-235 wieder als Brennstoff oder für Waffen zu benutzen; das ist jedoch aufwendig (wegen des geringen Anteils am abgebrannten Brennstoff), und wird nur selten praktiziert.
Die nicht ökonomisch sinnvoll verwendbaren Reste sind nun Atommüll. [Wiederaufbereitungsanlage] [PUREX]
“Atommüll”
Auf den radioaktiven Abfall möchte ich gar nicht groß im Detail eingehen, da dieser in den letzten Jahren oft im Zentrum der Debatte stand. Die Zusammenfassung lautet: Sehr giftige, stark radioaktive Abfälle, die für lange Zeit (mehr als 100'000 Jahre) radioaktiv bleiben, müssen sicher aufbewahrt werden – obwohl bisher keine sichere Methode dazu bekannt ist. Stattdessen wird Atommüll bisher überirdisch bei Kernkraftwerken oder Wiederaufbereitungsanlagen gelagert; auch das ist wegen der Umwelteinflüsse nicht optimal, und ein Entweichen von Radioaktivität oder Schwermetallen in die Umwelt kann hier nicht ausgeschlossen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind allerdings die Kosten (die weiter unten nicht nochmals aufgeführt werden): Es steht fest, dass Kernkraftwerkbetreiber bei weitem nicht für alle Kosten der Endlagerung aufkommen können. Somit wird die Kernenergie hier wiederum durch öffentliche Mittel subventioniert. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass jedes Kernkraftwerk selbst auch Atommüll darstellt; beim Betrieb sammelt sich nicht nur radioaktives Material an, auch Bauteile im Reaktor werden durch die Neutronenstrahlung selbst aktiviert und strahlen dann. Der Rückbau eines Kernkraftwerks ist eine äußerst komplexe und vor allem teure Aufgabe – auch die wird hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Der Rückbau deutscher Kernkraftwerke wird uns voraussichtlich noch für einige Jahrzehnte beschäftigen; und das für wenige Jahrzehnte günstiger Kernenergie.
Kernkraftwerk Greifswald, eigenes Foto
Das Kernkraftwerk Greifswald bei Lubmin wurde 1990 stillgelegt, und nach einem Rückbau, der (2016) auf Kosten von 6,6 Milliarden Euro projiziert wurde, soll es 2028 dekontaminiert sein. Nach einigen weiteren Jahren dürfte es dann schließlich Geschichte sein: frühestens 40 Jahre nach Abschaltung. [Radioaktiver Abfall] [Rückbau]
Unfälle
Kritisch für den Reaktor sind einige Szenarien, in denen entweder die Nachzerfallswärme oder eine Überkritikalität zu einer Kernschmelze führen können. Erstere entsteht, wenn der Reaktor eigentlich “abgeschaltet” wird; das wird normalerweise durch z.B. Einfahren der sogenannten Steuerstäbe oder gezielte Anreicherung des Kühlwassers mit einem Neutronenabsorber wie Bor erreicht. Diese Maßnahmen reduzieren den Neutronenfluss im Reaktor, und unterbrechen die Kettenreaktion. Allerdings verbleiben Reste der gespaltenen Kerne im Brennstoff: Diese Spaltprodukte sind oft instabil und zerfallen vorerst weiter, bis stabile Isotope erreicht sind (die dann nicht weiter zerfallen). Bei diesem Zerfall wird weiterhin Wärme frei; das ist kein Problem, solange der Primärkreislauf (also das Kühlwasser, das in Kontakt mit den Brennstäben ist) weiterhin funktioniert, und Wärme abgeleitet werden kann.
Fällt aber aus irgendwelchen Gründen diese Kühlung aus, kann sich der Brennstoff ungehindert erhitzen – bis zur Kernschmelze, bei dem ganz im Wortsinn der Reaktorkern schmilzt. Ohne äußere Energiezufuhr reicht die innere Zerfallswärme aus. Eine solche Situation trat in Three Mile Island 1979 (amerikanischer Kernreaktor) auf, und in Fukushima 2011 (Japan). In diesen Fällen verhindert meist ein interner (Wartung, Defekt) oder externer (Erdbeben, Tsunami) Faktor die ausreichende Reaktorkernkühlung. In den schlimmsten Fällen entweicht bei solchen Unfällen Radioaktivität aus dem Reaktor; zum Beispiel bei einer Überdrucksituation (Three Mile Island) oder Explosionen des durch die große Hitze in Knallgas gespaltenen Wassers (Fukushima).
Alternativ beschleunigt sich die Kettenreaktion stark, und es findet eine Leistungsexkursion statt. Dann erzeugt der Reaktor für kurze Zeit das zehnfacher oder mehr seiner Auslegungsleistung. Diese enorme Energiemenge kann nicht abgeführt werden, und eine Kernschmelze ist die Folge. Das ist – grob – was in Tschernobyl passiert ist; meinem Verständnis nach ist diese spezifische Situation in Reaktoren, wie sie in Deutschland betrieben werden, aber eher unwahrscheinlich. Die genaue Bauweise eines Kernreaktors ist nämlich dafür verantwortlich, welche Szenarien riskant sind und welche eher nicht auftreten werden. [Kernschmelze] [Katastrophe von Tschernobyl] [Reaktorunfall Three Mile Island] [Nuklearkatastrophe Fukushima]
Es ist wichtig zu realisieren, dass solche Probleme – trotz riskant gebauter Reaktoren sowjetischer Bauart – nicht immer weit weg geschehen und hiesige Reaktoren nicht betroffen sein können. Prinzipiell basieren auch Reaktoren in Mitteleuropa auf dem gleichen Know-How wie amerikanische oder japanische Reaktoren, und auch Deutschland besitzt keine magischen Kräfte, die solche per Definition unkontrollierbaren Situationen verhindern könnten. Wer anderes behauptet, ist – wieder – mindestens schlecht informiert, zu optimistisch, oder naiv. Noch 2007 war im Kernkraftwerk Brunsbüttel ein Notkühlsystem für mehr als ein Jahr nicht komplett einsatzbereit, ohne dass der Betreiber diesen Makel rechtzeitig behoben hätte obwohl die Situation bekannt war. 2004 fielen im Kernkraftwerk Biblis mehrere eigentlich redundante Stromversorgungen aus, die u.a. für die Kühlung und Notkühlung zuständig waren. In beiden Fällen, die hier nur exemplarisch aufgeführt sind, standen weitere Systeme zwischen der aufgetretenen Störung und einer Kernschmelze; die Frage ist nur: wann ist es soweit, dass einer unkontrollierten Kernschmelze kein letztes System im Weg steht? [Störfälle in deutschen Nuklearanlagen]
Einschub: Don’t Panic!
Trotzdem muss man zugeben: In Deutschland ist bisher noch nichts passiert. Die Sicherheitsstandards sind hoch – auch das gesetzlich vorgeschriebene Minimum. Schlecht qualifizierte Betriebsleiterinnen werden von der jeweiligen Atomaufsicht abgelehnt und von ernsthaften Situationen ferngehalten. (“Wartungs- und Betriebspersonal, hieß es, seien ungenügend vorbereitet und teilweise schlecht qualifiziert. So fehle es an Wissen über den Reaktor, selbst Handbücher waren zum Teil nicht auf dem für einen zuverlässigen Betrieb notwendigen Stand.”)
Deutsche Kernkraftwerke sind weitgehend sicher, und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht übermorgen “in die Luft fliegen”. Vor allem auch deshalb, weil im Rahmen des Atomkraftausstiegs viele Kraftwerke bereits seit einiger Zeit nicht mehr in Betrieb sind, der Reaktor somit nicht mehr kritisch (d.h., eine Kettenreaktion im Gange haltend) ist, und bis auf ein Auseinanderbrechen des Sicherheitsbehälters nicht allzu viel passieren kann. Persönlich möchte ich auch keine Panik verbreiten – vielmehr gibt es genügend, teilweise äußerst alltägliche, Argumente gegen eine zivile Nutzung der Kernenergie. Und um diese soll es hier auch hauptsächlich gehen.
Hoffentlich Allianz versichert?
Eines dieser sehr banalen Argumente dreht sich um der Deutschen Lieblingsaktivität: Situationen und Dinge versichern. Was bei jedem Auto und sogar den meisten Häusern kein Problem ist, stellt bei Kernkraftwerken selbst die größten Rückversicherer vor unüberwindbare Probleme. Was ist der Grund für diese Probleme?
Kurzum, ein Kernkraftwerk lässt sich nicht versichern.
“Wie, nicht versichern? Das ist doch nur eine Frage, wie hoch die Prämie ist!” möchte man rufen! Doch nein – egal wie hoch die Prämie, ein ernster Unfall in einem Kernkraftwerk, der womöglich große Landstriche auf hunderte Jahre unbewohnbar macht, ist nicht versicherbar. Das steht sogar im Gesetz: Bis Schäden von 2.5 Milliarden Euro muss jedes Kernkraftwerk versichert sein; das wird zum Beispiel durch den deutschen Atompool sichergestellt, in dem die Betreiber von Kernkraftwerken ganz solidarisch die Risiken bündeln. [Atompool]
Nichtgedeckte Schäden werden nach Paragraph 34 des Atomgesetz bis zu 2.5 Mrd. Euro vom Bund übernommen. Was heißt das im Klartext? Ohne die Subventionierung durch den Staat könnte Kernenergie gar nicht wirtschaftlich genutzt werden. Die Schäden eines größeren Unfalls sind sowieso entweder nicht versichert (weil kein Versicherer das Risiko übernehmen wollte), oder Versicherer und Rückversicherer könnten die Schäden gar nicht kompensieren. Im Ernstfall muss also davon ausgegangen werden, dass der Staat auch hier einspringt.
Diese indirekte Subvention sollte nun verknüpft werden mit der weiter oben besprochenen Zweitnutzung von Anreicherungsanlagen für den Bau von Kernwaffen; auch das ist eine typische Tätigkeit, der nur Staaten nachgehen. Jetzt kann man die Punkte verbinden: 1. Kernenergie ist ohne staatliche Garantie nicht möglich; 2. Staaten nutzen Kernenergieinfrastruktur auch für den Bau von Kernwaffen. Offensichtlich steckt also mehr dahinter als “sichere saubere günstige Energie”. Denn schon sehen wir, dass die Energie nur begrenzt sicher ist, sauber ebenfalls nicht (Tagebau! Seen voller Abfall!), und günstig schon gar nicht. Zum letzteren steht mehr im folgenden Abschnitt.
Money, Money, Money…
Den Versicherungsaspekt haben wir schon behandelt: der ist so teuer, dass wortwörtlich keine Versicherung der Welt eine Garantie übernehmen möchte, oder könnte. Doch um ein Kernkraftwerk nicht versichern zu können, braucht man erstmal ein Kernkraftwerk. Und auch das ist ein finanzieller Kraftakt. Weil dieser Text nicht zu sehr in der Vergangenheit verhaftet bleiben soll, nehmen wir die Gegenwart und die nahe Zukunft, und schauen einfach mal: Was kostet ein Kernkraftwerk?
Zwei große europäische Projekte in Sachen Kernkraftwerk finden in Großbritannien (Hinkley Point C) und Finnland (Olkiluoto) statt. Nicht selten werden diese Projekte sogar als Argumente pro Kernenergie vorgebracht, wenn es darum geht, in Deutschland neue Kernkraftwerke zu bauen. Das ist mir persönlich unerklärlich, und dazu braucht man nur bis zum Ende des ersten Absatzes im Wikipedia-Artikel von Hinkley Point C, einem Europäischen Druckwasserreaktor-Projekt (EPR) des französischen Konzerns EDF mit zwei Blöcken à 1.6 Gigawatt, lesen:
"Insgesamt wird das Kraftwerk mit 100 Milliarden € durch Großbritannien subventioniert."
Die Verluste, die EDF als Bauverantwortlicher damit schreibt, sind noch nicht inbegriffen. EDF gehört wiederum zu fast 85% dem französischen Staat. Und wieder das Muster: ohne massivste staatliche Eingriffe könnte Kernenergie gar nicht funktionieren; niemand würde so viel Geld für Strom ausgeben.
Fun Fact zu Hinkley Point: “Hier herrscht höchste Betriebssicherheit”. Bauarbeiter: Hold my pants
Areva, die französische bad corporation als Nachfolger der nuklearen Verlustgeschäfte von EDF, wäre am EPR-Projekt Olkiluoto beinahe pleite gegangen. (Das ist vielleicht ein wenig dramatisch formuliert, aber nicht komplett unwahr). Seit 2003 in der Planung und seit 2005 im Bau, hätten die 1,6 Gigawatt bereits 2012 geleistet werden sollen. Und das zu einem tatsächlich günstigen Preis von nur 3 Milliarden Euro. Bereits 2015 sollten die Kosten dann aber schon 9 Milliarden Euro betragen, und im World Nuclear Report sind inzwischen von 11 Milliarden Euro die Rede. Im März 2021 galt der Block Olkiluoto 3 endlich als fertiggestellt. Tatsächlich Strom produzieren soll der Kraftwerksblock frühestens 2022.
Die Rechnung ist nicht besonders kompliziert:
- 11 Milliarden Euro für 1.6 Gigawatt entsprechen 6'900 Euro pro Kilowatt. Ein Windkraftwerk kostet heute bis zu 1'100 Euro pro Kilowatt installierter Leistung; zuzüglich Planung/Installation/Wartung bis zu 1'400 Euro pro Kilowatt, und sicher weniger, wenn das politisch gewollt wäre. Für jedes (finnische) Atomkilowatt lassen sich knapp fünf Windkilowatt bauen.
- Würde die Ausschreibung heute beginnen, könnten wir, wenn wir so gut organisiert wie Finnland wären in 18 Jahren auf einen Reaktorblock zugreifen. Tut sie aber nicht, sind wir aber (vermutlich) nicht. Und selbst dann bedeuten 18 Jahre ab heute eine Betriebsaufnahme im Jahr 2039: das ist ein Jahr nach dem spätesten Kohleausstieg 2038.
Wer soll das bezahlen? Wer würde sowas bestellen? Und der Brennstoff sowie die Abfallaufbereitung und die Versicherung (siehe oben) sind in diesen Preisen noch nicht einmal inbegriffen.
Weitere Zahlen zur fehlenden Wirtschaftlichkeit finden sich schön zusammengefasst in Wikipedia.
Kernenergie ist also alles in allem nicht ökonomisch sinnvoll, außer es steht ein bereits abgeschriebenes Kraftwerk zur Verfügung. Für die Investitionen, die heute für Kernenergie nötig wären, könnten alternative Energiequellen in viel größerem Ausmaß augebaut werden. [Wirtschaftlichkeit der Kernenergie]
Atomausstieg
Der Atomausstieg in Deutschland ist so populär, dass er gleich zweimal stattfand. Die rot-grüne Bundesregierung vereinbarte schon im Jahr 2000 feste “Reststrommengen”, die zur Abschaltung der Kernkraftwerke in den 2010er Jahren geführt hätten. Dieser Konsens wurde von der schwarz-gelben Regierung unter Merkel 2010 rückgängig gemacht, bevor im Frühling 2011 die Atomkatastrophe Fukushima das Vertrauen in Kernenergie erneut erschütterte, und über Nacht die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet wurden. Die Laufzeitverlängerungen von 2010 waren somit wieder rückgängig gemacht, und ein stufenweiser Ausstieg bis 2022 wurde beschlossen. Bereits 2011 wurden allerdings viele ältere riskante Kernkraftwerke abgeschaltet.
Im späteren Verlauf des Jahres 2011 fand diese Entscheidung in der Bevölkerung bei 80% Zustimmung. Auch kam es nicht zu Stromausfällen oder sogar nur Stromimporten: Der verstärkte Ausbau erneuerbarer Energien konnte die weggefallene Energieversorgung kompensieren. Im Gegenzug haben Kernenergiekonzerne allerdings den deutschen Staat mehrfach verklagt, um die durch den Ausstieg entgangenen Gewinne zurückzuerhalten. Einige solcher Klagen wurden allerdings verloren oder abgewiesen. Später entschied aber das Bundesverfassungsgericht, dass der Atomausstieg tatsächlich einen Anspruch auf Schadensersatz erzeugt. 2021 wurden den großen Kernkraftwerkbetreibern (E.ON/Vattenfall/EnBW/RWE) per Gesetz etwa zweieinhalb Milliarden Euro zugesprochen. Diese Zahlung ohne Gegenleistung ist erstaunlich.
Ein erneuter Ausstieg vom Ausstieg ist unwahrscheinlich; viele Kernkraftwerke sind bereits veraltet und wären sowieso nicht wirtschaftlich und sicher zu betreiben. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist praktisch ausgeschlossen – heutzutage kann man ja nicht einmal mehr Windturbinen bauen –, und wäre darüber hinaus nicht finanzierbar. Das hindert den ein oder anderen jedoch nicht, selbst 2021 noch Kommentare pro Kernenergie zu veröffentlichen.
Die verbleibenden sechs Kernkraftwerke – Brokdorf, Isar, Grohnde, Neckarwestheim, Gundremmingen, Emsland – werden aller Voraussicht nach bis spätestens Ende 2021 (Brokdorf, Grohnde, Gundremmingen) oder Ende 2022 stillgelegt. Dank der Rückbau- und Endlageraktivitäten wird die Ära der Kernenergie in Deutschland aber auf Jahrzehnte hin nicht vorbei sein. [Atomausstieg] [Deutsche Kernreaktoren]